DROMOVISIONEN 3 > Die Konsumption des Raumes / Die Inflation der Zeichen < Dromovisionen einer Reise Man muss sich beeilen wenn man noch etwas sehen will. Alles verschwindet. (Paul Cézanne) Bis zu den Anfängen der Aufklärung läßt sich eine gesellschaftliche Entwicklung zurückverfolgen, die verkürzt gefasst werden kann als stetig steigende Vermitteltheit, als Informatisierung von Wirklichkeit, als wachsende Reduktion von Erfahrung auf visuelle Daten, und dem mit der Hypertrophie des Auges einhergehenden Verlustes von Sinnlichkeit und damit Wirklichkeit. Im Zugriff auf diese Wirklichkeit wurde das Auge bewaffnet mit Fernglas, Mikroskop und Kamera - Apparaten, die nur noch einen Ausschnitt abbildeten und deren Gläser sich zwischen Betrachter und die Dinge schoben und damit beide von einander trennten. Dem einäugigen, apparativen, automatischen, intersubjektiven Blick, dem "reinen" Sehen, wurde die Mannigfaltigkeit der Welt und die Sinnlichkeit des Auges geopfert. Machten wachsende Reisegeschwindigkeiten immer weiter erntfernt liegende Räume in immer kürzerer Zeit erreichbar, hat die Fotografie sehr früh zur scheinbaren Verfügbarmachung der Welt beigetragen - z.B. in Form von Reisefotografien. Doch längst ist die Welt er-fotografiert, wieder und wieder reproduziert und in -zigfacher Ausfertigung neu gesehen und abgebildet. Wir sehen uns einem Bilderagglomerat gegenübergestellt, das den Blick auf die Dinge zu versperren droht, wo Wirklichkeit und Abbild nicht mehr zu trennen sind. Was mit der Verflüchtigung, dem Verschwinden des Vordergrundes begann, wo die Flüchtigkeit des Einzelnen erst die Wahrnehmung des Ganzen ermöglichte, wo der "panoramatische" Blick zur neuen Sehnatur wurde, hat sich der beschleunigte Wechsel der Perspektiven zur Bilder- und Szenenfolge ausgewachsen. |
Nachdem die Einzelheiten verschwunden sind schieben sich jetzt die Panoramen zusammen, löschen sich die Bedeutungen gegenseitig aus, wie das Licht die Farben auslöscht. Im Flimmern des Geschwindigkeitsrausches verliert sich die Gewißheit der realen Existenz des Raumes. Der solchermaßen erlebte Raum erlaubt keine grundlegende Orientierung mehr, sondern ist repräsent durch reine, optische Information - so gegeben, dass schließlich fast nichts zurück bleibt : rückstandslose, fleckfreie Produktion von Leere. Der Zusammenhang, die körpergebundene Einheit, von Bewegung und Wahrnehmung ist endgültig verschwunden. Die Ereignisse folgen so schnell aufeinander, dass man ihnen entweder nur wahrnehmungs folgen kann, oder sie starr vor Schrecken wahrnehmen kann. Die Zunahme des visuellen Drucks läßt uns nur noch mit krampfhafter Statik auf die Mattscheibe / Windschutzscheibe starren, bis das Auge seine Sehkraft einbüßt und das Anschwellen der Momentaufnahmen, ihre Summierung, zu Rosa-Rauschen, zur Erblindung führt - zum blinden Passagier. Die Summe aller möglichen Ansichten der auf dieser Reise zurückgelegten Teilstrecken ist auf 19 Aufnahmen dokumentiert. Die Bildlegenden bezeichnen Datum und Uhrzeit (Beginn und Ende der Fahrt), Start- und Zielort, sowie die befahrenen Straßen (19 Gelatine Silver Prints, 60 x 50 cm, Texte wurden einbelichtet) Text + Fotos Copyright © Erhard Scherpf, 2012 |
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