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Geschwindigkeit und Fotografie strukturieren die Raum- und Zeiterfahrung neu

In welcher Weise das maschinelle Ensemble und die Geschwindigkeit den Reisenden vom Raum trennen,
habe ich bereits kurz beschrieben.
Sie trennen ihn infolge dessen aber auch, mehr als alles vorhergehende, von der Zeit.

Der stillgestellte Horizont, die stillstehende Erdoberfläche bei einer Flugzeugreise, einer Reiseform, die uns jeglicher
sinnlicher Erfahrung von Entfernungen enthebt, läßt auch keine visuelle Erfahrung von vergehender Reisezeit mehr zu.
Diese Zeit, die nicht mehr zur Erforschung des Weges dienen kann, zerfällt in Abfahrt- und Ankunftdaten,
die Zwischen-Zeit wird als vernichtet erlebt, ist ein "Opfer" von Uhrenzeit und Fahr- bzw. Flugplan.

Dass darin zukünftig vielleicht "das Glück dabei gewesen zu sein" erfahren werden könnte, in der Möglichkeit zur
Erfahrung des Stillstandes von Zeit, trotz deren heftigster Beschleunigung, konnten die, den oben genannten Verlust
beklagenden, frühen Reisenden vermutlich nur schwer ermessen"

Auf die einzelnen Stufen in der Geschichte der Zeitplanung, deren Untersuchung sicher wichtig wäre, soll hier nur
stichpunktartig eingegangen werden.

Angefangen bei der Zeit der Klöster und ihrem bereits strukturierten Zeitablauf, die einen unumstrittenen Anteil an
der Entwicklung der Uhr und damit an der Einteilung und Linearisierung der Zeit in 24-Stunden-, 60 Minuten-,
60 Sekunden-Rythmen hatten, dann die Ablösung der agrarisch-zyklischen Zeitformen durch die mechanisch
gemessene linearisierte Zeit der Turmuhren in den spätmittelalterlichen Städten, also zu Beginn der
"Zeit des Handels"
im Gegensatz zur "Zeit von Landwirtschaft und Handwerk" , über einige Zwischenschritte zur
Formulierung von Lokalzeiten, basierend auf der mittleren jährlichen Sonnenzeit eines Ortes, zur Eisenbahnzeit,
als allgemeiner Standard-Zeit eines Landes.
Nachfolgend die Einteilung der Welt in 24 Zeitzonen, mit der sich die Starrheit der Zeitordnung der industriellen
Verkehrsmittel endgültig durchgesetzt hatte und die in ursächlichem Zusammenhang mit der industriellen Produktion
und dem bürgerlichen Arbeitsethos steht.

Zeitplanung und Geschwindigkeit trennen den Reisenden von der Zeit.

Das gleiche Schicksal erleidet der Raum: Reiseraum, Zwischenraum, wird als vernichtet erlebt.
Wichtig sind nur noch Start und Ziel.
Der als lebendige Kontinuität erfahrene Landschaftsraum wird zum strukturierten und geografischen Raum, in dem
jeder Teilraum in durchschaubarer Beziehung zum Gesamtraum steht. Anstelle der Erfahrung von Kontinuität hat sich
eine Sprunghaftigkeit breitgemacht, deren Eckpunkte Abfahrt und Ankunft, Start und Ziel, bilden.

Dieser Prozess fortschreitender Abstraktion macht Zeit als verfließende, abstrakte, linearisierte, damit permanent
präsent. Günther Anders beschreibt den Prozess als zunehmende "A-synchronisiertheit" des Menschen mit seiner
Produktewelt, deren Ursache er in der Natur von uns geschaffenen Produkte sieht. Nach Anders sind Technik und die
damit geschaffene Welt in einem so rapiden Wandel begriffen, den wir als Menschen innerhalb der uns von der Natur
gesetzten Grenzen der Wahrnehmung und Vorstellungskraft nicht mehr nachvollziehen vermögen, und der für die
"Antiquiertheit des Menschen" bestimmend ist.

Als Folge dieser "A-synchronisiertheit" - also der Auflösung jener "wie auch immer gespannten Einheit von Bewegung
und Wahrnehmung", des Bruchs der Kontinuität, welche der frühe Reisende sowohl als Fußgänger als auch auf
Reisen mit der Kutsche noch erfuhr, durch die Industriealisierung des Verkehrs und die damit einhergehende "maßlos
beschleunigte Zeit" - scheint jenes Schwindelgefühl zu entstehen, in dem eine genaue Orientierung im Raum und die
Erfahrung der eigenen Präsenz in der Zeit nicht mehr möglich ist. --"eine Erfahrung, die nur gelingt, wenn man
vergangene und zukünftige Momente immer wieder auf die eigene Gegenwärtigkeit zu beziehen vermag."


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