Erhard Scherpf  I  Fotografie etc.  I    Freie Arbeiten  I  Ausstellungen + Projekte  I   Vita   I  Links  I  Impressum  I

I  Tote Tiere  I  Körperbilder  I  Bewegungsstudien  I  Dromovisionen  I

I  Exposé  I  Dromovisionen 4   Dromovisionen 3  I  Dromovisionen 2  I  Dromovisionen 1  I  Texte  I


Fotografie und Unsterblichkeit / Die Bild-Körper-Maschine

Dass Fotografie nicht nur den Tod zu verleugnen, sondern gerade "das Leben hervorzubringen" scheint, lässt sich auch
sehr gut an einem bereits früher von mir bearbeiteten Thema aufzeigen:

Der nachfolgende Exkurs entstand ursprünglich als begleitendes Thesenpapier zu einer Fotoserie über "Body-Building"
--- der Darstellung von "Menschen in der Maschine", als Langzeitbelichtung über die Dauer des erzwungenen Bewegungs-
ablaufs. Zwischen den Kraftmaschinen der Body-Building-Studios und dem fotografischen Apparat besteht eine enge
Beziehung: Beides sind für den Body-Builder sozusagen "Selbst-Verkörperungs-Maschinen".
Die Kraftmaschine, d. h. die Bewegung die sie erzwingt, trägt in gleichem Maße zum "Rausch" des Trainierenden, zur
Auflösung und Neukonstitution des Körpers bei, wie die Fotografie dies tut.


BODY-BUILDING, so kann man vermuten, ist eine der auffälligsten Möglichkeiten nach sich selbst zu fahnden und einer
der vergeblichsten und aussichtsreichsten Wege zugleich: Lacan folgend, ist es der mühselige Versuch, einen
strukturellen "Mangel an Sein" zu vertuschen mit einem über und über vom Wunsch nach Selbst-Beherrschung
gezeichneten Leib.

Das "Selbst" des Body-Builders scheint unverkörpert und niemals präsent gewesen zu sein. Im Zustand des
Nicht-Wiedererkennens gehalten gab es keinen Platz, sich als Glied in eine signifikante Kette einzufügen.
Anhand der Fotos der schon fast mythisch zu nennenden Körper von "Mr. Olympia" und "Mr. Universum" scheint sich
jeder seinen Wunschkörper aussuchen zu können, um sich dann, angespornt durch diese Abbilder der vollkommenen
Verkörperung einer signifikanten Ordnung ohne Bruch und Lücke, auf die Jagd danach zu machen.

Die Verkörperung des "Selbst" von Arnold Schwarzenegger in der "totalen Form des Körpers" durch den
"totalen Schmerz" entpuppt sich jedoch als Illusion, obwohl sich der Body-Builder im ständigen "Posing" vor dem Spiegel
oder der Kamera dessen Präsenz zu versichern sucht. Auf der Suche nach dem Signifikant wird das Abbild nur scheinbar
zum "Spiegel der Erkenntnis": der Wunsch nach Einverleibung dessen, was man sieht, wird notwendig frustriert.
Das fotografische Abbild (und auch das simultane Spiegelbild) lassen als Symbol einer doppelten Getrenntheit ---
vom Körper, als dem habhaft zu werdenden Objekt und vom Bild des Körpers, als dem Träger nach der Sehnsucht nach
dem Selbstbild --- nichts anderes als eine imaginierte Identifikation zu.

Das Produkt der "Bild-Körper-Maschine" , wie Ullrich Raulff eine Kamera in diesem Zusammenhang bezeichnet,
des "öffentlichen Gesichtsbeförderungsmittel per exellence", das fotografische Abbild, schafft letztlich ein Image,
das die Person scheinbar erst zur Person werden lässt, wenn auch mit geliehener Identität des Idol-Körpers als Vor-Bild.
Der Körper des Body-Builders und das Foto davon werden zum Abbild eines Bildes.


Das Portraitfoto scheint am Anfang der Geschichte der Fotografie nach Ausdruck realen Selbstbewusstseins wirklicher
Bürger gewesen zu sein. Die schnelleinsetzende Welle der Begeisterung, die die Portrait-Fotografie auslöste, hatte eine
ihrer Ursachen sicher darin, dass Objektiv und Retouche das Selbstbewusstsein des Bürgers nicht nur stärken konnten,
sondern ihm die Illusion verschafften, die sozialen Schranken übersprungen zu haben, ließ er sich
z.B. zu Pferd oder in der Kutsche oder in anderen eindrucksvollen Posen "ablichten". Das "absolut verlässliche Mittel"
zur Dokumentation wurde also sehr früh auch schon zur Täuschung eingesetzt.
"Heute dagegen scheint das Bild fast gänzlich für die Sehnsucht nach dem Selbstbild zu stehen", schreibt Gisele
Freund in ihrem Essay zum Verhältnis von Photographie und Gesellschaft.


"Nach den "Bouvard-und-Pécuchet´schen-Methoden herumzuvagabundieren führt auf abenteuerliche Abwege.
Jede neue Frage wirft die Notwendigkeit eines neuen Exkurses auf. Um bei diesem Abenteuer einer scheinbar nicht
enden wollenden Suche jedoch nicht die sinnvollen Zusammenhänge gänzlich zu verlieren und diese Arbeit nicht zu
einem weiteren Versuch einer "enzyklopädischen Bestandsaufnahme des Scheiterns" ausufern zu lassen,
soll an dieser Stelle noch einmal angeknüpft werden an:



"Die Fotografie verewigt den Augenblick. Darin liegt jedoch auch eine Strategie zur Negierung von Zeit."

Wie stark das Gefühl für gesteigerte Geschwindigkeiten und enorme Veränderungen der Wirklichkeit war und wie viel
Hoffnungen sich entsprechend an die konservierende Funktion der Fotografie hefteten, davon legt ein Ausspruch von
Oliver Wendel Holmes, 1859, sehr gut Zeugnis ab: "Man gebe uns ein paar Negative eines sehenswerten Gegenstandes,
aus verschiedenen Perspektiven aufgenommen -- mehr brauchen wir nicht. Man reiße dann das Objekt ab oder zünde
es an, wenn man willl."
   So kannn man argumentieren, hatte man "das Glück dabei gewesen zu sein".

Jules Janin schrieb 1839 in seinem Artikel "Der Daguerreotyp": "Wir haben die großen Denkmäler von Paris auf diese
Wiese reproduziert gesehen, von Paris, das nun wirklich die EWIGE STADT werden wird."
Für Janin hatte sich die Stadt verdoppelt und hatte Unsterblichkeit erlangt.
Dass das alte Paris 20 Jahre später von Baron Hausmann linearisiert wird, niedergerissen wird, und den Bedingungen
des industriealisierten Verkehrs und der raschen Ausbreitung von Industrie und Handel angepasst wird --- denn auf Grund
dieser Expansion stand die Stadt im Begriff, unbewohnbar zu werden --- war aus der Sicht Janins nicht mehr als
konsequent. Ebenso wie Paris "lebt" das "alte London" bis heute in den Fotografien von Dixon und den Gebrüdern Bool.
Manche Fotobücher nehmen sich so gesehen wie die Ankündigung der Liquidierung des Dargestellten aus.

Resümierend über Zeit und Fotografie lässt sich also sagen:
Die Fotografie untermauert noch einmal die Vergänglichkeit, die sie eigentlich negieren soll. Im Versuch, Dinge aus der
Zeit zu nehmen produziert sie umso unerbittlicher ihre eigenen Antriebskräfte.

Copyright © Erhard Scherpf