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Körperbilder 6 -  Alter

Alt werden ist nichts für Feiglinge - Anti-Aging ist angesagt.

Der Jungbrunnen, einst im Mythos heraufbeschworen, bietet sich längst im Supermarkt an. Kaum ein Kosmetikprodukt, das nicht dem Alter den Kampf angesagt hat. In dem Mass, wie die Lebenserwartung steigt, werden die Spuren des Alterns getilgt. Fotografie und auch die bildende Kunst betreiben es munter mit. das Anti-Aging.
Im virtuellen, digitalen Raum ist die ewige Jugend per Mausklick zu erhalten.Das manipulierte Endprodukt zeigt eine perfekte Körperhülle und suggeriert ‚Lifestyle’, aber auch: wenn du alt bist, dick, oder etwa nicht gesund und fit, dann ist es dein persönliches oder charakterliches Versagen.

"Falten sind schön" - Der Slogan des spanischen Modeschöpfers Domingues, womit er nicht nur das Knittern edlen Leinens, sondern auch der menschlichen Haut meint, ist kaum ins alltägliche Körperbewusstsein eingedrungen.

In einer Gesellschaft, in der junge und makellose Körper Inbegriffe des Schönheitsideals darstellen, Alter weitgehend verleugnet und als körperlicher "Defekt" angesehen wird, der sich durch plastische Chirurgie jederzeit korrigieren lässt, werden die Körperbilder von Erhard Scherpf zu Spiegeln, die dem Betrachter deutlich zeigen, was dieser nicht sehen will.

Der Exhibitionismus des radikal „Wahren“ verbreitet Unbehagen, weil wir Verfall, Vergänglichkeit und Sterblichkeit bewusst ignorieren, verdrängen oder per Bildbearbeitung retouchieren.
Die gesellschaftlichen Strategien zur Vermeidung von Normverletzungen durch Hässlichkeit, Deformation und Unzulänglichkeit sind hochentwickelt. Werden die Regeln zur Darstellung von Nacktheit durchbrochen, erscheint das Menschenbild zwar authentisch, wird jedoch meist als schamlos und obszön bewertet.



Im Zuge des demographischen Wandels haben Industrie und Werbung "die Alten" zwar als neue Zielgruppen entdeckt - sonnengebräunt, gesund und glücklich über die wunderbare Anti-Falten-Creme - aber mit dazu passenden Aufnahmen professioneller Fotomodelle nur neue Idealisierungen und Ikonen von fitnessgestählten Rentnern geschaffen.

Die radikale Wiedergabe eines "unperfekten" Körpers widersetzt sich den herrschenden gesellschaftlichen, künstlerischen und fotografischen Konventionen. Altern ist mit Angst verbunden. Schürten die Altersbilder einst bewusst die Angst, um ein entsagendes, christliches Leben zu propagieren, bekennen sich die Körperbilder hier rücksichtslos zum Alter.

Körperbilder bilden "straight", also unumwunden und direkt ab.
Durch die präzise und schonungslose Beleuchtung werden die Spuren der Vergänglichkeit deutlich sichtbar. Der Haut wurde von jeher ein besonderer Bezug zum Körper zugeschrieben. Als Begrenzung der Körperhülle markiert sie nicht nur die Grenze zwischen dem Selbst und dem Aussen, sondern sie ist auch Träger sozialer Zeichen.
Die auf der Haut hinterlassenen, in sie eingefressenen Spuren zeigen die körperliche Anfälligkeit und Veränderbarkeit. Die Darstellung der faltigen und von Pigmentflecken überzogenen Haut und das welkende Fleisch beschreiben den Körper unweigerlich als alt und damit vergänglich. nicht zuletzt begrenzt der Körper - zumindest in zeitlicher Dimension - das eigene Sein.

Distanziert und gleichermaßen bloßgelegt tritt jede Einzelheit hervor. Druckstellen, Hautfalten und Ausbeulungen werden sichtbar. Runzeln, Wulste und Wölbungen zeugen von einer Haut, die nicht den Glanz des Schönen wiedergibt.
Weder durch Krankheit noch gewaltsame Einwirkungen von außen gezeichnet, ist es die Haut, in die das Leben sich eingegraben und eingezeichnet hat.




Die indexikalische Qualität der Fotografie, die mit der Digitalisierung und den einhergehenden Möglichkeiten der Bildbearbeitung zusehends ins Nicht-mehr Existente gerät, wird hier deutlich vorgeführt. Nur dieses Medium kann die Haut mit einer derartigen Schärfe und Präzision wiedergeben.

Die über-lebensgroße Darstellung der Vergänglichkeit visualisiert letztlich auch den Tod, einem der bis heute größten gesellschaftlichen Tabus.

Dem Medium Fotografie wird, spätestens seit den philosophischen Betrachtungen von Roland Barthes dazu, ein besonderer Bezug zu Vergänglichkeit und Tod zugeschrieben (Fotografie bringt ein "So ist es gewesen" zur Ansicht. Im Bild präsent anwesend, liegt der Moment nichtsdestotrotz in der Vergangenheit.) Fotografie an sich verkörpert also schon Vergänglichkeit und verweist damit auf den Tod. Auch deshalb ist die Verwendung des fotografischen Mediums und die Vergrößerung auf lebens- bis überlebensgroße Ausdrucke bei diesem Thema zwingend.

Sich für dieses Projekt als "Model" rücksichtslos vor und über der Kamera zu bewegen und zum Körper und seinem Alter zu bekennen, verlangt das hohe Selbstvertrauen eines souveränen Individuums. Und ist ein großer Vertrauensbeweis an den Fotografen. Dafür bin ich sehr dankbar.


Text + Fotos: © erhard scherpf, 2015